10.02.2020 Helfen ist bereichernd

10.02.2020 Helfen ist bereichernd

„Meine Mutter hatte große Angst, allein zu sterben, deshalb wollte ich gerne, dass so oft es ging, jemand bei ihr ist“, erzählt Gabriele Ritter. Als ihr eine Mitarbeiterin des Pflege- und Altenheims Gerricusstift, in dem die hochbetagte Mutter lebt, den Tipp gibt, bei einem Hospizdienst anzufragen, ist das für Gabriele Ritter neu: „Ich dachte, Sterbebegleiter kommen nur nach Hause und nicht in ein Pflegeheim.“

Dagmar Bedei und Gabriele Ritter (r.)
Sterbebegleiterin Dagmar Bedei im Gespräch mit Gabriele Ritter (r.)

Auf Vermittlung der Ökumenischen Hospizgruppe Gerresheim e.V. (ÖHG), bietet kurz darauf Dagmar Bedei, eine von derzeit 31 Ehrenamtlichen der ÖHG, ihre Unterstützung an. Von da an besucht sie die bettlägerige und manchmal kaum noch ansprechbare Mutter regelmäßig. Für Gabriele Ritter ist der ehrenamtliche Einsatz eine enorme Erleichterung: „Das hat meiner Mutter sehr geholfen, weil sie trotz allen Leidens am Leben hing, und es hat auch mir sehr geholfen.“ Während der 18-monatigen Begleitungszeit tauscht sich die 66-jährige Tochter der schwer kranken Gerricusstift-Bewohnerin oft mit Dagmar Bedei aus und ändert durch ihr Vorbild auch ihr eigenes Verhalten. Anstatt wie zuvor meist geschäftig das Zimmer ihrer Mutter aufzuräumen und dabei mit ihr zu sprechen, setzt sich Gabriele Ritter nun immer öfter an das Bett ihrer Mutter und hält ihre Hand.

Ich hätte mir damals gewünscht, solch eine Hilfe zu bekommen

„Es ist bereichernd, wenn man helfen kann“, beschreibt Dagmar Bedei ihre Motivation, sich in ihrer Freizeit als Sterbebegleiterin für andere Menschen einzusetzen. „Und man bekommt von allen Beteiligten etwas wieder“, ergänzt die 60-jährige Gerresheimerin, die sich während einer Begleitung oft „zur Familie gehörend“ fühlt. Zwei schwere Schicksalschläge sind es, die sie 2016 zur Ökumenischen Hospizgruppe Gerresheim führen: Drei Jahre zuvor starben ihr Mann und ihre Mutter. „Ich hätte mir damals gewünscht, solche Hilfe zu bekommen“, so Dagmar Bedei.

„Die meisten Angehörigen sind sehr froh, wenn sie dank unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter etwas Zeit für sich geschenkt bekommen, um einen Spaziergang zu machen oder sich mit Freunden treffen zu können“, weiß Elisabeth Siemer, Hospizkoordinatorin der Ökumenischen Hospizgruppe Gerresheim. Sie spricht lieber von „Lebensbegleiter“ als von „Sterbebegleiter“, denn die von ihnen betreuten Menschen „haben ja ein Leben vor dem Tod“.

Helga Wehrmann, Dagmar Bedei, Remy Reuter, Elisabeth Siemer, Gabriele Ritter
Helga Wehrmann, Dagmar Bedei, Remy Reuter, Elisabeth Siemer und Gabriele Ritter (v.l.) treffen sich zum Gespräch in der Gerricusstift-Caféteria.

Helga Wehrmann hat vor zwanzig Jahren bei der ÖHG angefangen. „Der Pfarrer der evangelischen Kirche Gerresheim fragte mich damals, ob das nicht etwas für mich sei“, erzählt die fröhliche 77-Jährige und bestätigt voller Überzeugung: „Und es war auch etwas für mich.“ Wegen einer neuen beruflichen Tätigkeit setzte sie zwar zwischendurch einige Zeit aus, aber seit zwölf Jahren ist sie durchgehend mit viel Herzblut bei der Sache: „Ich möchte gerne Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten und Gutes tun.“ Oft geht sie im Pflege- und Altenheim Gerricusstift ein und aus. Deren Bewohner kennen sie und ihre lockere Art inzwischen so gut, dass sie Helga Wehrmann im vergangenen Jahr sogar in den Bewohnerinnen- und Bewohnerbeirat wählten. „Das Haus ist mir ein kleines Stück Heimat geworden“, sagt Wehrmann.

Jeder Wohnbereich hat eigenen Koffer

Nicole Vetten vom Sozialen Dienst des Gerricusstifts ist sehr dankbar für die Unterstützung durch die Ökumenischen Hospizgruppe Gerresheim, die stets mit sechs bis acht Ehrenamtlern in dem Pflegeheim vertreten ist. Auch sie und ihre Kolleginnen vom Sozialen Dienst begleiten sterbende Bewohnerinnen und Bewohner – dafür steht zum Beispiel jedem Wohnbereich ein eigener Koffer gefüllt mit Kerzen, CDs, Duftöl, Blütenblätter, Gebeten und einem Kreuz zur Verfügung. Doch seien die zeitlichen Ressourcen einfach begrenzt, so Vetten. Gerade wenn es um längere Begleitungen gehe, sei es gut, wenn zusätzlich eine außenstehende Person für den Bewohner oder die Bewohnerin und deren Angehörige da sei.

Besonders verständnisvoll kann Helga Wehrmann mit Menschen mit Demenz umgehen. „Ich glaube, ich kann einfach gut in deren Welt einsteigen.“ Bei einer Fortbildung habe sie viel über den Umgang mit demenziell veränderten Menschen gelernt. Überhaupt sind ihr die regelmäßigen Fortbildungen, die Supervision und die monatlichen Treffen in der Gruppe wichtig. Vor sechs Jahren starb Helga Wehrmanns Sohn und sie ist überzeugt, dass sie diese schlimme Zeit dank ihrer Ausbildung zur Lebensbegleiterin besser durchgestanden hat.

Pommes, Bier und Schwanensee

Und wie gelingt es ihr, den Tod der von ihr begleiteten Menschen nicht so nah an sich ranzulassen? Sie sei schon oft traurig, gibt Helga Wehrmann zu. Insbesondere, wenn Menschen ganz plötzlich versterben. Doch zum einen werde sie in der Ökumenischen Hospizgruppe professionell aufgefangen und zum anderen sei es auch oft gut, dass der Betroffene es endlich geschafft habe. Dabei betont Helga Wehrmann, dass es immer wieder auch sehr schöne und sogar lustige Momente gebe. Einmal begleitete sie eine ältere Dame, die keine Nahrung mehr zu sich nehmen wollte. Doch eines Abends bat sie Helga Wehrmann, eine Tüte Pommes frites und eine Flasche Bier zu besorgen. „Und dann hat sie genussvoll ein paar Pommes gepickt und kleine Schlucke Bier getrunken und mich immer wieder aufgefordert, dies mit ihr gemeinsam zu tun“, erzählt Helga Wehrmann. Außerdem erinnert sich Wehrmann noch gut an eine andere Dame, die sie mehrmals ins Museum begleitete und die ihr viel über Blumen und Pflanzen erzählte. „Das hat richtig Spaß mit ihr gemacht“, sagt Helga Wehrmann.

Dagmar Bedei ist eine 100-jährige Ballerina besonders in Erinnerung geblieben. Sie zeigte eigentlich keinerlei Regung mehr, doch als Bedei ihr die Musik von Tschaikowskis „Schwanensee“ vorspielte, lächelte sie plötzlich und bewegte sich.

Logo Ökumenische Hospizgruppe Gerresheim e.V.

Durchschnittlich acht bis zehn Wochen begleitet ein Ehrenamtler der Ökumenischen Hospizgruppe Gerresheim einen sterbenden Menschen. Bei Helga Wehrmann waren es auch mal sieben Jahre, da sich die betroffene Frau erfreulicherweise „wieder aufgerappelt“ habe. So individuell wie jede einzelne Begleitung ist – manche mögen es, wenn die Lebensbegleiter ihnen vorlesen, mit ihnen singen oder beten und ihre Sorgen und Ängste teilen – so individuell ist auch der zeitliche Einsatz, den die Ehrenamtlichen leisten. In der Regel sind es ein bis zwei Stunden ein- bis zweimal die Woche, erklärt Hospizkoordinatorin Elisabeth Siemer. Wenn der Zeitaufwand gegen Ende einer Begleitung mehr werde, würden entweder sie oder ihr Kollege Lars Gundtoft oder auch zwei Ehrenamtliche gleichzeitig eingesetzt. So war es beispielsweise bei Gabriele Ritters 95-jähriger Mutter, die kurz vor ihrem Tod im vergangenen Dezember von Dagmar Bedei und Helga Wehrmann im Wechsel betreut wurde.

„Wir achten darauf, dass niemand überfordert wird“, sagt Elisabeth Siemer. Selbst ein „Ausstieg“ sei jederzeit möglich. Und sie guckt darauf, dass jeder Ehrenamtler nach einem Einsatz eine Pause einlegt, um wieder offen für neue Menschen zu werden. Denn eines ist der Hospizkoordinatorin wichtig: „Die Arbeit als Lebensbegleiter ist ein Ehrenamt – und das soll auch Freude machen.“

Qualifizierungskurs für Ehrenamtliche
Die Ökumenische Hospizgruppe Gerresheim e.V. bietet in Kooperation mit dem ambulanten Hospizdienst am Evangelischen Krankenhaus (EVK) von März bis Juni 2020 einen neuen Qualifizierungskurs für Ehrenamtliche an. Gefragt sind Menschen, die ein offenes Ohr und Interesse an ihrem Gegenüber haben sowie ihre Handlungen und Einstellungen reflektieren können.

Informationen gibt es unter www.hospiz-gerresheim.de und bei Elisabeth Siemer und Lars Gundtoft unter Tel. 0211-297059 oder per E-Mail hospizgr-gerresheim@gmx.de

Text und Fotos: Angelika Fröhling