Remy Reuter

04.04.20 Interview mit Einrichtungsleiter Remy Reuter

04.04.20 Interview mit Einrichtungsleiter Remy Reuter

„Ein Schwätzchen vom Balkon geht immer“

Das Gerricusstift zählt wie alle Pflege- und Altenheime zurzeit zu den besonders gefährdeten Einrichtungen. Wir haben dem Leiter des Gerricusstifts, Remy Reuter, einige Fragen zur aktuellen Lage und den Plänen für Ostern gestellt.

Herr Reuter, machen die Nachrichten von Coronavirus-Ausbrüchen in Pflegeheimen wie in Würzburg, Wolfsburg, aber auch hier in Düsseldorf den Bewohnern des Gerricusstifts Angst?

Remy Reuter: Die Bewohner sind eigentlich alle recht gefasst, aber natürlich zum Teil auch beunruhigt. Sie sorgen sich, wie sie einen Ausbruch des Virus überstehen würden. Andere wiederum sind froh, dass sie nun hier sind, und in dieser Zeit nicht isoliert in ihrer Wohnung sitzen. Und fast alle fragen sich natürlich, wann sie wieder Besuch empfangen dürfen. Wobei mich überrascht hat, dass diese Frage öfter von den Angehörigen als von unseren Bewohnern gestellt wird.

Gerade für an Demenz erkrankte Menschen dürfte das aktuelle Besuchsverbot schwer zu verstehen sein.

Remy Reuter: Für unsere demenziell veränderten Bewohner ist das in der Tat eine schwierige Situation. Auf der anderen Seite ist die Betreuung sehr viel näher geworden, was gerade diesen Menschen gut tut. Seit Beginn der Krise arbeiten die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes und die Alltagbegleiter nur noch mit einzelnen Bewohnern oder mit kleinen Gruppen im gleichen Wohnbereich. Während die Mitarbeiter vorher auch schon mal gewechselt haben, ist nun noch mehr Kontinuität gewahrt. Dabei bleiben die Angebote vergleichbar. Es wird nach wie vor gemeinsam gesungen, gebacken und gekocht, es gibt Bingo- und Gesellschaftsspielvormittage. Die mobile Kegelbahn wird nun von einem Wohnbereich zum anderen getragen. Was viele Menschen mit Demenz – immerhin rund 80 Prozent unserer Bewohner – allerdings zurzeit kaum nachvollziehen können, ist die Tatsache, dass sie nun unsere Einrichtung nicht mehr verlassen sollen. Gerade die Verschärfung der Coronaschutzverordnung vom 30. März ist für uns ein großes Dilemma, denn wir wollen und dürfen unsere Bewohner nicht einsperren.

Was besagt die Verschärfung der Landesverordnung?

Remy Reuter: Laut der geänderten Coronaschutzverordnung dürfen unsere Bewohner nur in Begleitung eines anderen Bewohners oder eines Mitarbeiters das Haus verlassen und nur mit diesen Personen zielgerichtet oder intensiv Kontakt haben. Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein zielgerichteter oder intensiver Kontakt außerhalb der Einrichtung auch mit anderen Personen bestand, müssen die Bewohner für 14 Tage den nahen Kontakt mit anderen Bewohnern unterlassen. Das ist aber in der Praxis kaum möglich. Unsere Mitarbeiter versuchen, dem mit einem Einkaufsservice vorzubeugen. Sie beraten und motivieren, aber letztlich können sie einen Bewohner nicht daran hindern, alleine herauszugehen. Das verstehen auch viele Menschen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft nicht. Oft rufen sie dann aufgebracht hier an und „melden“, dass sich ein Bewohner draußen frei bewegt. Das ist gut gemeint, aber wir sind keine geschlossene Einrichtung.

Das heißt, Sie halten die Verschärfung der Verordnung nicht für sinnvoll?

Remy Reuter: Ich halte sie schlicht für nicht umsetzbar. Denn strenggenommen, müssen wir den Bewohner, der das Haus verlassen hat und bei dem wir uns nicht sicher sein können, ob er den gebotenen Abstand zu anderen Menschen eingehalten hat, 14 Tage in seinem Zimmer unter Quarantäne stellen. Ein demenziell veränderter Bewohner ist aber kognitiv gar nicht in der Lage, diese Situation einzusehen.

Wie ist denn die Stimmung unter den Pflegemitarbeitern? Haben Sie Ausfälle?

Remy Reuter: Unser Pflegepersonal arbeitet derzeit sehr professionell und auch sehr gefasst. Man merkt aber natürlich schon, dass sich bei ihnen ein gewisser Druck aufbaut. Sie müssen hier und oft auch zu Hause in der Familie immer gut „funktionieren“. Da wird der ein oder andere auch mal kurz angebunden oder dünnhäutig. Aber wir haben tendenziell geringere Ausfälle als sonst zu dieser üblichen Erkältungszeit. Wir sind sogar eigentlich ganz gut aufgestellt, weil fünf Auszubildende derzeit nicht die Schule besuchen und alle bei uns im Praxiseinsatz sind. Darüber hinaus haben viele Mitarbeiter, die gerade Urlaub haben, aber nicht verreisen dürfen, angeboten, bei Bedarf zur Arbeit zu kommen.

Haben Sie genügend Schutzmaterial, um die Mitarbeiter auszustatten?

Remy Reuter: Alle unsere Mitarbeiter in der Pflege tragen Mundschutzmasken der Klasse FFP 1. Wir leben aber zurzeit von der Hand in den Mund. Es ist sehr schwierig, sich mit der notwendigen Schutzausrüstung zu versorgen. Zwar helfen wir uns auch unter den Pflegeheimen aus und versuchen über Direktbestellungen an Ware zu kommen, aber die Verknappungssituation ist schon sehr ungewohnt. Glücklicherweise haben wir nun seit 6 Wochen die erste Lieferung an Desinfektionsmitteln erhalten.

Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von der Politik?

Remy Reuter: Vor einiger Zeit hieß es, das Land hätte Schutzausrüstung besorgt, wovon ein Teil über die Kreise und Kommunen auch an die Pflegeeinrichtungen verteilt werden sollte. Davon ist bisher nichts angekommen. Wir könnten es gut gebrauchen.

Gerade diskutieren Politiker und Fachleute, wann die Kontaktsperre wieder aufgehoben werden soll. Wie sehen Sie die Diskussion?

Remy Reuter: Ich halte nichts von einer frühen Aufhebung des Kontaktverbots. Es heißt zwar immer, dass in diesem Fall die gefährdeten Menschen besonders geschützt werden sollen, aber wie soll das gehen? Unsere Mitarbeiter, die zum Teil öffentliche Verkehrsmittel benutzen, sind dann in Kontakt mit viel mehr Menschen und evtl. mit Corona-Infizierten. Je eher die Maßnahmen aufgehoben werden, desto eher werden Mitarbeiter das Virus in unsere Einrichtung bringen. Es ist wahrscheinlich jetzt schon nur noch eine Frage der Zeit.

Sind Sie auf einen Virus-Ausbruch im Gerricusstift vorbereitet?

Remy Reuter: Ja, soweit das möglich ist. Wir haben verschiedene Szenarien durchgespielt. Im Falle eines Ausbruchs werden aber nicht nur wir die dann erforderlichen Entscheidungen treffen, sondern das Gesundheitsamt und die WTG-Behörde, also die ehemalige Heimaufsicht. Wir werden aber selbstverständlich alles für eine schnelle Umsetzung der Vorgaben tun.

Sämtliche Veranstaltungen wurden gestrichen, die hausinterne Caféteria ist geschlossen, selbst der Besuch des Gottesdienstes in der gegenüberliegenden Basilika St. Margareta fällt derzeit weg. Wie werden ihre Bewohner das Osterfest feiern?

Remy Reuter: Unsere Mitarbeiter vom Sozialen Dienst haben sich für das Osterwochenende verschiedene Aktionen überlegt. So wird beispielsweise am Ostermontag auf jedem Wohnbereich eine Andacht angeboten. Schließlich ist Ostern eines der höchsten christliche Feste. Auch unser Hauswirtschaftsteam bereitet gerade eine kleine Osterüberraschung für jeden Bewohner vor. Die Angehörigen schicken ohnehin schon fleißig „Care-Pakete“. Außerdem steht natürlich auch an Ostern der von der Bürgerstiftung Gerricus vor drei Jahren angelegte Sinnesgarten zur Verfügung. Was jetzt schon gut genutzt wird, und sicher an Ostern noch intensiver, ist das kleine Schwätzchen vom Balkon in den Hof oder vom Sinnesgarten durch den Zaun zum angrenzenden Weg. Für die Zeit nach Ostern gibt es übrigens auch schon Pläne. Ende April werden verschiedene Musiker an zwei Tagen vor den Balkonen des Gerricusstifts ein kleines Konzert geben.

Das Interview (per Telefon) führte Angelika Fröhling.