14.11.17 – Gerresheimer Glas weckt Erinnerungen

Gerresheimer Glas weckt Erinnerungen

14.11.2017. Die 85-jährige Elisabeth Graf hat trotz harter Schichtarbeit gute Erinnerungen an die Zeit, als sie mit Mitte Zwanzig in der Gerresheimer Glashütte am Fließband stand: „Wir haben uns alle gut verstanden, und ich habe gerne dort gearbeitet.“ Ihre Aufgabe war es, die fertig bedruckten Glasflaschen auf das Band zu stellen, das zum Aushärten in den Ofen führte. Auch ihr Ehemann, ein gelernter Schlosser, war in der Gerresheimer Glashütte tätig, die vor zwölf Jahren geschlossen wurde. 

Bewohnerinnen und Kinder der Kita St. Margareta schauen zu, wie Glasbläser Oguz Özdemir ein Herz aus Glas formt.

So wie Elisabeth Graf geht es vielen ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern im Pflege- und Altenheim Gerricusstift in Düsseldorf-Gerresheim: Sie haben selbst in der Fabrik gearbeitet oder kennen jemanden, der dort tätig war. Kein Wunder: Zu ihren besten Zeiten gehörte die Gerresheimer Glasfabrik zu den größten Glashütten der Welt und beschäftigte mehr als 5.000 Mitarbeiter aus vielen verschiedenen europäischen Ländern. 

„Dass sich so viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner an die Glashütte erinnern, haben wir zum Anlass genommen, hier in unserem Haus einige der in Gerresheim hergestellten Produkte zu zeigen“, sagt Remy Reuter, Leiter des Gerricusstifts, der am Dienstag eine kleine Glasausstellung in dem Pflege- und Altenheim eröffnete. Sein Dank galt Gaby und Peter Schulenberg vom Förderkreis Industriepfad Düsseldorf-Gerresheim (FKI), die dafür aus ihrem eigenen Archiv und dem Archiv des FKI Flaschen, Einmachgläser und kuriose Gegenstände wie einen „Spucknapf“ für Winzer zusammengetragen und aufbereitet hatten. 

Bewohnerin Christa-Maria Koch erzählt Peter Schulenberg vom Förderkreis Industriepfad Düsseldorf-Gerresheim von ihren Erinnerungen an die Gerresheimer Glashütte.

Besondere Aufmerksamkeit erhielt neben einem Glasbläser, der seine Kunst vorführte, eine „Dotzwasserflasche“, die Peter Schulenberg bei der Eröffnung der Ausstellung herumzeigte. Eine solche Flasche enthält eine Glaskugel, die damals kohlensäurehaltige Getränke wie Sprudel, Limonade oder Brause luftdicht verschloss. Obwohl die Kinder der Kita St. Margareta, die zur Ausstellung ins benachbarte Gerricusstift gekommen waren, so eine Flasche noch nie gesehen haben, errieten einige von ihnen schnell, wie die Kugel in die Flasche kommt. Drei Arbeitsschritte waren dazu notwendig. Dies ist auch einer der Gründe, warum die aufwändige Produktion der Kugelverschlussflaschen Mitte der 1950er Jahre in Gerresheim eingestellt wurde. Sehr zum Leidwesen der damaligen Kinder. Auch Peter Schulenberg hat als Kind noch mit den Kugeln („Dotzen“) gespielt und erinnert sich, dass ein Glasdotz im Tauschhandel so viel wert war wie drei Dotze aus Ton. 

Eine „Dotzwasserflasche“ aus der Produktion der Gerresheimer Glashütte.

Die Erinnerungen an die Gerresheimer Glashütte hält auch Gerricusstift-Bewohnerin Helga Begere wach, die mit 18 Jahren in der einst größten Flaschenfabrik der Welt am Fließband gearbeitet hat. Jeden ersten Montag im Monat trifft sie sich im zentrum plus in Gerresheim mit etwa vierzehn anderen Männern und Frauen, die alle einen Bezug zur Glasfabrik haben. In dem Gesprächskreis werden dann Geschichten zu Mitarbeitern und Begebenheiten der Glashütte zusammengetragen und erzählt, wie es damals im „unteren Gerresheim“ war. „Ich verpasse keinen Termin“, sagt die heute 82-Jährige stolz. 

Gerresheimer Glas weckt Erinnerungen: Peter Schulenberg (r.) im Gespräch mit Bewohnerin Gisela Lennartz und ihrem Mann.

Für Gaby Schulenberg sind solche Erinnerungen von Zeitzeugen ein regelrechter Schatz. Sie rief bei der Ausstellungseröffnung die Bewohnerinnen und Bewohner des Gerricusstifts auf, Verwandte und Freunde, die in der Gerresheimer Glashütte gearbeitet haben, zu bitten, Fotos und Dokumente wie beispielsweise Einstellungspapiere zu sichern. „Viele Fotos oder Alltagsgegenstände aus Glas werden bei Wohnungsauflösungen leider weggeworfen“, bedauert Gaby Schulenberg, die sich gemeinsam mit ihrem Mann seit Jahren für den Erhalt der Erinnerung an die Gerresheimer Glashütte einsetzt. 

Als es noch keine Tiefkühlgeräte gab, wurde Eingemachtes in Gerrix-Gläsern haltbar gemacht. (Alle Fotos: Angelika Fröhling)

Gerricusstift-Bewohnerin Elisabeth Graf bedauert zudem den Rückzug der Glasflaschen: „Heutzutage gibt es ja leider fast nur noch Plastikflaschen.“